Genomische Ökosysteme verstehen
Neuer Gruppenleiter startet am MPIMG
Zachary Smith studierte Biologie am M.I.T. und arbeitete danach im Labor von Alexander Meissner in Harvard. Er promovierte 2019 und wurde im September 2020 zum Assistant Professor in Yale ernannt. Seit 1. Dezember 2024 ist er Forschungsgruppenleiter am MPIMG. In unserem Interview spricht er darüber, wie das Aufwachsen am Meer seinen Blick auf genetische Phänomene geprägt hat, wie er moderne Technologien nutzen möchte, um Verbindungen zwischen verschiedenen Disziplinen herzustellen, und warum Wissenschaft manchmal Demut auslösen kann.
Zack, in Yale haben Sie sich mit der Entwicklung des Embryos beschäftigt. Worauf wird sich Ihr Labor am MPIMG konzentrieren?
Meine Arbeitsgruppe hat sich schon immer für das Konzept der epigenetischen Regulation interessiert. Die epigenetische Regulation ist für Veränderungen des Phänotyps verantwortlich, die keine Veränderung der DNA-Sequenz erfordern. Meiner Meinung nach können diese epigenetischen Konzepte am besten mit Embryonen im Entwicklungszustand untersucht werden. Wir arbeiten mit Nachdruck daran, neue Technologien zu entwickeln und anzuwenden, um die Entwicklung von Embryonen mit der höchstmöglichen Auflösung zu untersuchen, sei es auf der Ebene ganzer Zellen oder einzelner Gene. Diese Beobachtungen wollen wir dann mit dem „Ganzen“ des Organismus verknüpfen.
Bereits Ihre ersten Publikationen befassen sich mit epigenetischen Veränderungen und der frühen Entwicklung. Was hat Ihr Interesse an diesem Gebiet geweckt und was fasziniert Sie daran?
Ich bin direkt am Meer aufgewachsen, an einem Ort mit vielen verschiedenen Ökosystemen, Salzwiesen und Watt zum Beispiel. Aus irgendeinem Grund hat das Leben und Arbeiten dort in mir eine Wertschätzung für die Umwelt als Motor und Gestalter des Lebens geweckt. Unter diesem Gesichtspunkt hat sich das Konzept der Epigenetik immer mehr wie eine „genomische Ökologie“ angefühlt - epigenetische Veränderungen und Regulatoren scheinen sich wie Organismen zu verhalten, die interagieren und genetische Informationen interpretieren, um bestimmte Ergebnisse zu erzielen. Sie schwimmen oder schwärmen um bestimmte Genloci herum, um lokale Ökosysteme zu schaffen; sie konkurrieren miteinander, um diese Ökosysteme zu verändern, und manchmal verlassen sie ihre normalen Funktionen, um „toxische“ Krankheitszustände zu erzeugen. Die Intuitionen, die ich durch meine frühe Ausbildung als Naturforscher entwickelt habe, scheinen meine Ziele in diesem Bereich auszuwirken.
Was sind Ihrer Meinung nach die großen offenen Fragen in diesem Bereich?
Um ehrlich zu sein: Ich glaube nicht, dass es beantwortete Fragen gibt. Als Wissenschaftler*innen sind wir sehr davon getrieben, unser Wissen auf einfache Regeln zu reduzieren, die wir artikulieren und auswendig lernen können. Je mehr Daten wir sammeln, desto mehr stellen wir jedoch fest, wie sehr wir auf diese Methodik fixiert sind. Das Schöne an einigen unserer Ansätze ist dagegen, dass sie es uns ermöglichen, wirklich grundlegende Konzepte der Entwicklungsbiologie unvoreingenommen anzugehen und die daraus resultierenden Daten neutral zu verfolgen.
Was möchten Sie in den nächsten zehn Jahren erreichen?
Ich denke, das ist eine sehr schwierige Frage, denn die Antwort, die wir in unserer Arbeit suchen ist nie: “Jetzt können wir uns ausruhen”. Meiner Meinung nach hat das 20. Jahrhundert viele sehr beeindruckende, aber unterschiedliche Teilbereiche hervorgebracht - Biochemie, Genetik, Evolutionsbiologie, Entwicklungsbiologie usw. Im Gegensatz dazu geht es im 21. Jahrhundert um die Entwicklung und Anwendung neuer Technologien, die es uns ermöglichen, diese Konzepte mit nie dagewesener Präzision und Auflösung zu untersuchen und zu erforschen. Für mich besteht der Plan für die nächsten zehn Jahre darin, herauszufinden, wie gut wir diese Instrumente nutzen können, um all die verschiedenen Teilbereiche zusammenzubringen.
Wir kennen zum Beispiel recht gut Struktur und biochemische Funktion vieler epigenetischer Regulatoren, aber wie wir diese Prinzipien mit ihrer tatsächlichen biologischen Funktion in Verbindung bringen, hat sich als echte Herausforderung erwiesen, insbesondere im Zusammenhang mit dem sich entwickelnden Embryo.
Wenn unsere Arbeit gut läuft, ermöglicht sie uns Verbindungen zwischen diesen verschiedenen Disziplinen herzustellen - zum Beispiel, wie epigenetische Regulatoren in alten und evolutionär neuen Zelltypen funktionieren und wie dieses Verhalten Veränderungen in ihrer Biochemie oder ihren Interaktionen widerspiegeln könnte. Unser Ziel ist es, diese Verbindungen herzustellen.
Was macht Ihnen am meisten Spaß daran, Wissenschaftler zu sein bzw. Wissenschaft zu betreiben?
Die Wissenschaft löst manchmal Demut aus - jedenfalls in mir. Es ist einer der wenigen Berufe, bei dem man, wenn man ihn richtig ausübt, Fragen zu einem scheinbar einfachen Aspekt der Natur stellt um zu verstehen, wie er funktioniert. Meistens bekommt man keine Antwort, aber es gibt gelegentliche, oft kurze Momente, in denen man plötzlich das Gefühl hat, eine neue Verbindung zu einem Organismus, wie er auf der Erde lebt, hergestellt zu haben. Es ist ein Privileg, dies tun zu können und zu versuchen, jüngere Wissenschaftler*innendarin zu schulen, ihre eigene Intuition und Wertschätzung für die Funktionsweise des Lebens zu entwickeln.
Nach welchen Qualitäten suchen Sie bei potenziellen Mitarbeiter*innen Ihres Labors?
Ich hatte das Glück, sehr unterschiedliche Studierende mit ihren eigenen Leidenschaften und Ansichten zu einzustellen. Und auch dies macht demütig:: die Verantwortung für ihre Ausbildung zu übernehmen und sie auf ihre zukünftigen Ziele vorzubereiten. Eigentlich möchte ich nur, dass die jungen Menschen die Wissenschaft ernst nehmen und den Spaß und die Freiheit erkennen, die darin liegen, schwierige Fragen zu stellen. Es ist unfair, mehr als das zu verlangen.