Seltsames Bauchgefühl
Neue Forschungsergebnisse aus dem Meissner Labor zeigen das Schicksal extraembryonaler Zellen im sich entwickelnden Darm.
Während der Entwicklung tragen extraembryonale Zellen zur Bildung von Strukturen außerhalb des Embryos bei. Das Vorhandensein dieser extraembryonalen Zellen im sich entwickelnden Darm gab Wissenschaftler*innen lange Zeit Rätsel auf. In einer neuen Studie in Nature Cell Biology gibt das Labor von Alexander Meissner nun neue Einblicke in den Verbleib und die molekularen Eigenschaften dieser Zellen.
In der frühen Entwicklung der Säugetiere trennen sich die embryonalen Zellen, die den Organismus formen, von den extraembryonalen Zellen, die Stützstrukturen bilden. Die wichtigsten extraembryonalen Gewebe sind der Dottersack und die Plazenta, die den Fötus mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgen, aber nach der Geburt jedoch abgestoßen werden. Eine überraschende Ausnahme von dieser Trennung ist der sich entwickelnde Darm, wo sich in Mausmodellen gezeigt hat, dass sich extraembryonale Zellen mit embryonalen Zellen vermischen.
„Eine wichtige Forschungsfrage ist, was mit diesen extraembryonalen Zellen in späteren Stadien der Organogenese geschieht“, sagt Julia Batki, Postdoktorandin im Labor von Alexander Meissner und eine der Erstautorinnen der Studie. „Wir konnten zeigen, dass sie spezifisch durch den programmierten Zelltod eliminiert werden, und identifizierten das Protein p53 als den zentralen Effektor“.
Auf gute Nachbarschaft
Zuerst markierten die Forschenden extraembryonale Zellen mit einem Fluoreszenzmarker, um sie während ihrer Entwicklung sichtbar zu machen. Da sie dieses Signal lange nachweisen konnten, schien es zunächst, als würden die extraembryonalen Zellen länger überleben als bisher angenommen. Doch bald merkten die Wissenschaftler*innen, dass etwas nicht stimmte: „Wir erkannten, dass wir unseren Ansatz überarbeiten und sowohl embryonale als auch extraembryonale Zellen markieren mussten“, sagt Sara Hetzel, ebenfalls Erstautorin und Postdoktorandin in Meissners Labor. „Was wir zunächst sahen, waren eigentlich Reste von extraembryonalen Zellen, die von embryonalen Zellen aufgenommen worden waren.“ Es stellte sich heraus, dass die extraembryonalen Darmzellen durch programmierten Zelltod absterben. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass dies von einem Protein namens p53 abhängt, das auch als Tumorsuppressor bekannt ist. Die Überreste werden von benachbarten Darmzellen in einem als Phagozytose bezeichneten Prozess verschlungen.
Ähnliches Transkriptom - epigenetisch unterschiedlich
Anschließend untersuchte das Team die Unterschiede im Transkriptom und in den epigenetischen Markern zwischen embryonalen und extraembryonalen Zellen. Dabei bestätigten sich frühere Erkenntnisse, dass extraembryonale Zellen im Laufe ihrer Entwicklung ähnliche Gene exprimieren wie ihre embryonalen Gegenstücke. „Als wir jedoch die epigenetische Landschaft untersuchten, stellten wir jedoch fest, dass die extraembryonalen Zellen durch eine unterschiedliche DNA-Methylierung eine Art molekulares Gedächtnis ihrer Herkunft bewahren“, erklärt Sara Hetzel. DNA-Methylierung ist eine chemische Modifikation der DNA, die deren Aktivität verändert, ohne die DNA-Sequenz selbst zu verändern. „Das Faszinierende ist, dass selbst in den p53-Mutanten, in denen die extraembryonalen Zellen viel länger als in der normalen Entwicklung bleiben, die Zellen ihre ursprüngliche Signatur behalten und sogar zur späteren Organentwicklung beitragen können“, ergänzt Julia Batki. Warum extraembryonale Zellen Teil des sich entwickelnden Darms werden und ob und welche physiologische Rolle sie spielen, bleibt eine wichtige Frage für die zukünftige Forschung, sind sich die Autorinnen einig.