Gleichberechtigte Genexpression
Neuen Faktor für die Inaktivierung des X-Chromosoms während der Entwicklung entdeckt.
Transkriptionsfaktoren namens GATA aktivieren die Expression von RNA-Molekülen, die eines der beiden X-Chromosomen während der Entwicklung weiblicher Mäuse abschalten. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie in Nature Cell Biology aus dem Labor von Edda Schulz.
Weibliche Säugetiere tragen zwei X-Chromosomen, was zu einer potenziell gefährlichen doppelten Expression von Genen führen kann. Die zusätzliche Genexpression ist für den sich entwickelnden Embryo tödlich, und eine doppelte Genaktivität wurde bei bestimmten Krebsarten im erwachsenen Organismus beobachtet. Um Schäden zu vermeiden, gibt es Mechanismen, die das zusätzliche X-Chromosom inaktivieren und die Aktivität von Genen in Balance halten. Zellen exprimieren die so genannte Xist-RNA (engl. für X-inactive specific transcript), die Gene auf dem gesamten Chromosom zum Schweigen bringt. Im sich entwickelnden Mausembryo wird Xist schon sehr früh auf dem väterlichen X-Chromosom hochreguliert, ein Prozess, der als "imprinted X-Inactivation" bekannt ist. "Die Idee war, dass Xist standardmäßig aktiv ist und nur in bestimmten Zelltypen unterdrückt wird, in denen es auch inaktiv sein soll", sagt Gruppenleiterin Edda Schulz. "Unsere Daten zeigen nun, dass es zelltypspezifische Faktoren gibt, die für die Expression von Xist notwendig sind, und dass Xist aktive Mechanismen benötigt, um exprimiert zu werden."
Zunächst untersuchten die Wissenschaftler die sogenannte "random X-Inactivaton", einen späteren Prozess, bei dem jede Zelle zufällig ein X-Chromosom deaktiviert. Das Team mit Erstautorin Liat Ravid Lustig suchte gezielt nach Faktoren, die vom X-Chromosom kodiert werden und weiblichen Zellen helfen könnten, Xist in diesem Stadium zu regulieren. Mithilfe von Cas9 basierten Genscheren überexprimierten sie ein Gen nach dem anderen, um diejenigen zu identifizieren, die einen Einfluss auf die Xist-Aktivierung haben. "Wir waren ziemlich überrascht, dass einer der stärksten Aktivatoren, den wir bei diesem Screen entdeckt haben, eine Familie von Transkriptionsfaktoren namens GATA war. Diese Faktoren werden in Zellen, die eine zufällige X-Inaktivierung auslösen, nicht exprimiert und konnten das Phänomen, an dem wir ursprünglich interessiert waren, nicht erklären", erklärt Edda Schulz. Die Wissenschaftler richteten daher ihre Aufmerksamkeit auf die imprinted X-Inaktivierung. Sie kooperierten mit dem Labor von Alexander Meissner, das Erfahrung mit der Untersuchung der frühen Entwicklung von Mausembryonen hat. In einer Reihe von Experimenten zeigten die Wissenschaftler, dass diese Faktoren, die an die Gensequenz GATA (für die Nukleinbasen Guanin, Adenin und Thymidin) binden, Xist in Präimplantationsembryonen der Maus regulieren.
Es war bekannt, dass GATA-Faktoren bei der Bestimmung der Zellidentität eine Rolle spielen, aber ein Zusammenhang mit der X-Inaktivierung war bisher nicht nachgewiesen worden. "Wir können nun zeigen, dass die X-Inaktivierung direkt mit den Mechanismen zusammenhängt, die helfen später verschiedene Zelltypen zu entwickeln", sagt Edda Schulz. Obwohl die imprinted X-Inaktivierung spezifisch für Nagetiere ist, konnte bereits früher gezeigt werden, dass sowohl Xist- als auch GATA-Faktoren in menschlichen Embryonen kurz nach der Befruchtung aktiv sind. Die mit Hilfe von Modellorganismen gewonnenen Erkenntnisse könnten daher letztlich dazu beitragen, besser zu verstehen, wie Xist beim Menschen und anderen Spezies kontrolliert wird.