Das fehlende Bindeglied

Chromatinbindendes Protein entpuppt sich als Schlüsselregulator der Transkription von Genen und deren Kontrollelementen

15. September 2023

In einer kürzlich in Nature Communications publizierten Studie hat die Forschungsgruppe um Andreas Mayer herausgefunden, dass das Protein BRD4 das regulatorische Bindeglied zwischen der Transkription von Genen und Enhancern durch die RNA-Polymerase II sein könnte.
 

Ohne die RNA-Polymerase II (Pol II) ist der Fluss der genetischen Information von der DNA über die RNA zu den Proteinen gestört, und praktisch alle zellulären Prozesse kommen zum Stillstand. Während der Transkription wandelt Pol II den genetischen Code von einer DNA-Vorlage in mRNA-Moleküle um, die für die Proteinsynthese verwendet werden. Pol II ist das Arbeitspferd der Transkription, aber ihre Aktivität wird auch durch regulatorische DNA-Elemente, einschließlich Enhancer, gesteuert. Enhancer sind DNA-Sequenzen, die die Expression bestimmter Gene, sogenannter Zielgene, verstärken. Sie liegen oft weit entfernt von den Genen, die sie kontrollieren, und werden selbst von Pol II transkribiert. Eine wichtige Frage ist, wie die Transkription von Enhancern kontrolliert und an ihre Zielgene gekoppelt wird. Das Labor von Andreas Mayer hatte zuvor bereits herausgefunden, dass das Protein BRD4 ein wichtiger Regulator von Pol II an den Zielgenen ist, insbesondere in der als Elongation bezeichneten Phase der Transkription, in der mRNA-Moleküle entlang eines DNA-Stranges synthetisiert werden. "In unserer aktuellen Studie haben wir unseren Blickwinkel erweitert und die Pol II-Regulation in einem größeren Maßstab untersucht", erklärt Andreas Mayer. "Wir können nun zeigen, dass BRD4 eine wichtige Rolle bei der Kontrolle sowohl der Transkription von Enhancern als auch der Transkription ihrer zugehörigen Zielgene spielt".

Neue Methode mit höherer Empfindlichkeit

Das Forscherteam verwendete eine Methode namens NET-seq, um die genaue Position der aktiven Pol II entlang des Genoms zu bestimmen. NET-seq ist in der Lage, RNA während ihrer Synthese mit hoher Auflösung zu erfassen. Die Forscher haben nun die Empfindlichkeit von NET-seq verbessert, so dass sie auch schwach transkribierte Genomregionen untersuchen können, in denen Enhancer häufig vorkommen. Mit dieser erhöhten Empfindlichkeit konnten sie bisher unbekannte mutmaßliche Enhancer in menschlichen Zellen identifizieren. Um zu verstehen, wie die Transkription von Enhancern reguliert wird und möglicherweise mit der Transkription von Zielgenen zusammenhängt, konzentrierten sich die Wissenschaftler auf BRD4, da sie zeigen konnten, dass sich BRD4 an Enhancern und Genen anreichert. Um die Rolle von BRD4 an den transkribierten Enhancern zu klären, baute das Team das Protein gewissermaßen auf Knopfdruck schnell ab und testete seine direkte Wirkung auf die Transkription von Enhancern und Genen. "Wir haben zuvor gesehen, dass BRD4 die Pol-II-Elongation bei einigen bestimmten Genen kontrolliert. Mit der verbesserten Methode können wir nun zeigen, dass in Zellen, denen BRD4 fehlt, die Elongation sowohl bei einem Großteil der Gene, als auch bei Enhancern zusammenbricht. Dies verdeutlicht, dass BRD4 eine wichtigere Rolle spielt als bisher angenommen", erklärt Annkatrin Bressin, eine der Erstautoren der Studie. Auch die Interaktionen zwischen Enhancern und Zielgenen waren in BRD4-defizienten Zellen reduziert, was darauf hindeutet, dass das Protein diese wichtige Verbindung kontrollieren könnte.

BRD4 als Transkriptionsregulator und potenzieller therapeutischer Angriffspunkt

"Man ging bisher davon aus, dass ein Großteil der Transkriptionsregulation zu Beginn der Transkription stattfindet, wenn Pol II an das Gen bindet und mit der RNA-Synthese beginnt. Unsere Ergebnisse zeigen nun, dass ein wichtiger Kontrollpunkt auch in späteren Stadien der Transkription stattfindet und dass BRD4 ein zentraler Schalter in der Regulation der Pol II-Elongation ist", sagt Andreas Mayer. BRD4 gehört zu einer größeren Proteinfamilie, den BET-Bromodomain-Proteinen. Die Wissenschaftler wollen nun ihre Untersuchungen auf die anderen Proteine dieser Familie ausdehnen, um deren spezifische Rolle zu verstehen und um herauszufinden, ob Interaktionen zwischen den BET-Proteinen die Transkription beeinflussen. BRD4 spielt auch bei der Entstehung von Krankheiten eine wichtige Rolle. Bei vielen Leukämieformen wird das Protein mit einer erhöhten Expression von Onkogenen in Verbindung gebracht. BET-Inhibitoren werden daher derzeit als potenzielle Medikamente untersucht. "Wir hoffen, dass ein besseres Verständnis der spezifischen Funktionen dieser Proteine in menschlichen Zellen dazu beitragen wird, ihre Rolle in Krankheitssystemen zu klären, was in Zukunft zielgenauere Behandlungsstrategien ermöglichen könnte", sagt Andreas Mayer.

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