Ein Lesezeichen für Stammzellen
Wie Pluripotenz in schlafenden Embryos erhalten wird
Während der Diapause können viele Säugetierarten die Embryonalentwicklung unterbrechen, um den Zeitpunkt der Geburt an günstige Umweltbedingungen anzupassen. Wie pluripotente embryonale Stammzellen während dieses Prozesses ihr Potenzial zur Differenzierung in die Zelltypen des erwachsenen Organismus aufrechterhalten, ist kaum bekannt. In Zusammenarbeit mit mehreren Gruppen am MPIMG haben Forschende um Aydan Bulut-Karslioglu nun einen neuen Mechanismus identifiziert. Dabei werden bestimmte genregulatorische Elemente, die die Pluripotenz aufrechterhalten, davor geschützt, während der Ruhephase stillgelegt zu werden. Die Ergebnisse wurden in Nature Structural & Molecular Biology veröffentlicht.
1957 benutzte der britische Entwicklungsbiologe Conrad Waddington eine Reihe eindrucksvoller Metaphern, um seine Konzepte von Entwicklung zu erklären. Er verglich sie mit einer Landschaft aus Tälern und Hügeln, in der eine Reihe von Murmeln (Zellen) einen Berg hinunterrollen. Während sie verschiedene Täler (Entwicklungspfade) durchqueren, landen sie schließlich am Fuße des Berges (oder bei den vollständig differenzierten Zelltypen). Heute wissen wir, dass diese Murmeln, wie im Fall der induzierten pluripotenten Stammzellen, wieder den Hügel hinaufgerollt werden können und in einigen Fällen sogar die Täler wechseln und in andere Zelltypen umprogrammiert werden können. Was aber, wenn die Kügelchen auf halbem Weg stehen bleiben? Genau das geschieht während der embryonalen Diapause. Diese adaptive Strategie zeichnet sich durch einen vorübergehenden Entwicklungsstopp aus, bei dem die pluripotenten Stammzellen ihr Entwicklungspotenzial behalten. Um die Mechanismen dahinter zu verstehen, haben die Wissenschaftler nun die epigenetische Landschaft ruhender Embryonen erforscht und embryonale Stammzellen als Modellsystem verwendet.
Schutz vor epigenetischer Abschaltung
Wie sich nun herausstellt, werden die Murmeln zwar auf ihrem Weg gestoppt, ihr epigenetisches Profil bewegt sich aber in Richtung Differenzierung. Zunächst erstellten die Forscher ein Profil des DNA-Methylierungsstatus von ruhenden embryonalen Stammzellen und Embryonen. Methylierung ist eine epigenetische Veränderung, die die Genexpression beeinflusst, ohne die DNA-Sequenz selbst zu verändern. Sie wird im Allgemeinen mit einer verminderten Genexpression und dem Gen-Silencing in Verbindung gebracht und bietet einen offensichtlichen Ansatzpunkt für die Erforschung der epigenetischen Mechanismen der Diapause. "Wir haben in der Tat eine erhöhte Methylierung in ruhenden Zellen im Vergleich zu ihren proliferierenden Gegenstücken beobachtet", erklärt Maximilian Stötzel, Doktorand und Erstautor der Studie. "Bestimmte Stellen, die regulatorische Elemente enthalten, sind jedoch durch so genannte TET-Enzyme (Ten-Eleven-Translokation) vor dieser generellen Erhöhung der Methylierung geschützt." Diese Enzyme sind wichtig, um Methylierungsmarker zu entfernen. Gruppenleiterin Aydan Bulut-Karslioglu fügt hinzu: "Die regulatorischen Elemente erwiesen sich als spezifische Regulatoren der Pluripotenz. Der Schutz dieser Elemente ist notwendig, um das weitere Entwicklungspotenzial des Embryos zu erhalten. In TET-Knockout-Modellen haben wir beobachtet, dass ruhende Zellen und Embryonen ihre pluripotenten Eigenschaften verlieren."
Genetische Lesezeichen
Bei genauerem Hinsehen machten die Wissenschaftler*innen weitere überraschende Entdeckungen: "Wir haben gesehen, dass diese Stellen nicht nur von TET-Enzymen, sondern auch von Transkriptionsfaktoren angesteuert werden", sagt Maximilian Stötzel. Transkriptionsfaktoren sind Proteine, die an DNA-Sequenzen binden und diese aktivieren oder unterdrücken. Die Forschenden fanden weitere epigenetische Marker (sogenannte Histon-Acetylierung), die auf eine erhöhte Genaktivität hinweisen. Überraschenderweise löste die Bindung der Transkriptionsfaktoren jedoch keine Transkription aus. "Wir vermuten, dass die kombinierte Aktivität von TET-Enzymen und Transkriptionsfaktoren eine Art Lesezeichen für die Regulatoren der Pluripotenz im Ruhezustand setzt, was die Zellen darauf vorbereitet, schnell in ihren ursprünglichen pluripotenten Zustand zurückzukehren", fügt er hinzu. Dieser Mechanismus ist eine faszinierende Entdeckung, wie Aydan Bulut-Karslioglu betont: "Er widerspricht dem gängigen Verständnis der Genregulation. Normalerweise schafft die kombinierte Wirkung von genregulatorischen Elementen, die von Transkriptionsfaktoren gebunden werden, mit hoher Histon-Acetylierung eine Umgebung, in der Transkription stattfinden kann. In diesem Fall führt die Histon-Acetylierung nicht zur Transkription, sondern dient als Mechanismus zur Aufrechterhaltung des pluripotenten Zustands für eine schnelle Reaktivierung." Dieser Einblick in die epigenetische Regulation der embryonalen Dormanz lässt noch viele Fragen über den Mechanismus und die beteiligten Akteure offen. "Mein Ziel ist es nun, weitere Transkriptionsfaktoren und epigenetische Mechanismen zu identifizieren, um ihr Zusammenspiel zu verstehen und sie in ein noch umfassenderes Bild der Dormanz zu integrieren", schließt Aydan Bulut-Karslioglu.